
Schmerzgedächtnis
Eine kleine Berührung und du fährst aus der Haut? Vor Jahren einen Unfall gehabt und man darf diese Stelle auf keinen Fall anfassen? Tiere die an
manchen Stellen rumfahren und einen buchstäblich beißen wollen? Du kennst diese und ähnliche Erfahrungen? Dann hast du bereits Bekanntschaft mit dem
Schmerzgedächtnis des Körpers gemacht.
Es ist eine Art Bewertungssystem des Körpers und ordnet damit die verschiedenen Schmerzerfahrungen ein. Eine Art Gedächtnis, was sich aber dauerhafte
Schmerzabläufe/spuren merkt. Also keine kognitive Gedächtnisinhalte, sondern Schmerzreaktionen des Nervensystems. Wobei es trotzdem mit einer Art
Wiederholung und einer Reizantwort arbeitet. Es vergleicht alte Erfahrungen, mit neuen Erfahrungen und bewertet den Grad der Schmerzhaftigkeit ein. Das
bedeutet wiederum, dass der Körper nur mit seinen erlernten Mustern vergleichen kann. Genetisch hat jeder Organismus bzw Körper eine andere Grenze, ab
dem er einen Reiz/ Berührung als Schmerz abspeichert. Aus diesem Grund kann auch nicht verpauschalisiert werden: „Das hat dem anderen Tier doch auch
nicht geschadet“ „Er stellt sich doch nur an“ oder auch „das kann doch gar nicht schaden“ Leider oft gehörte Sätze! Genau hier ist auch der Knackpunkt
zum Thema Tierschutz und seine „Hilfsmittel“ am Tier.
Egal ob in der Reiterei oder im Hundebereich. Jedes Tier reagiert aufgrund seiner individuellen Sensibilität anderst auf Hilfen. Leider legt der Mensch
keinen großen Wert darauf, sich im Thema Schmerzerkennung beim Tier, weiterzubilden. Viele Tiere zeigen Schmerzsymptome, aber der Mensch ist leider oft
zu unsensibel, es zu erkennen. Wir stumpfen leider in unserem Alltag ab und erkennen oft nicht, dass wir dem Tier schon Stress bereiten. Aus seelischem
Stress entstehen dann, in einem gewissen Zeitraum auch körperliche Probleme. Viele Menschen klagen darüber, dass sie in Stresssituationen die Schultern
dauerhaft anspannen. Daraus resultiert Nackenschmerz, daraus Kopfweh und in vielen Fällen kommt dann die Migräne. Unseren Tieren geht es keine Sekunde
anderst. Ein Hund der oft aufgeregt ist und nicht zur Ruhe kommt, hat auf Dauer beispielsweise Probleme mit seiner Atmung. Der Stress überträgt sich
auf sein Inneres. Somit verspannt sich der komplette Brustkorb, die Folgen sind Brustkorbblockaden, Atemprobleme oder auch Herz- und Lungenprobleme.Ein
verspannter Bereich ist in erster Linie nicht dramatisch. Aber die Zeit in der nicht gehandelt wird. Ein verspannter Nacken beispielsweise, bedeutet in
erster Linie Druckempfindlichkeit. Man wundert sich, warum das Tier auf einmal kopfscheu ist. Ab diesem Punkt gibt es zwei Möglichkeiten.
Nummer eins wäre jetzt einzugreifen und zu überlegen woran es liegt. Bestenfalls einen Therapeuten kommen zu lassen, der sich um die Problematiken
kümmert. Die zweite Möglichkeit sieht leider ganz anderst aus. Das Problem wird in erster Linie ignoriert. Je weiter dieser Bereich sich jetzt
verspannt, desto größer wird die Schmerzspirale. Natürlich dauert dieser Vorgang jetzt einige Wochen, in denen man sich keine weiteren Gedanken macht.
Das Problem wird immer größer und deutlicher. Es kommt irgendwann ein Punkt, den wir alle kennen. Das Tier will sich an bestimmten Stellen, auf keinen
Fall anfassen lassen und fährt jedesmal rum, wenn man nur in die Nähe kommt. Für diese Reaktion ist das Schmerzgedächtnis zuständig. Der Körper besitzt
sogenannte Rezeptoren. Diese sind Proteine und kleinste Wahrnehmungscentren, die für verschiedenste sensible und motorische Wahrnehmungen
verantwortlich sind. Druck-, Zug-, Wärme-, Kälte- und Gleichgewichtsveränderungen werden durch sie, in Sekunden an das Nervensystem weitergeleitet.
Dadurch können wir blitzschnell reagieren. Genauso nimmt der Körper aber auch Schmerz wahr. Sobald die Rezeptoren bemerken, dass eine Berührung für das
Gewebe schädlich ist, nimmt der Körper Schmerz wahr. Es ist jetzt vereinfacht ausgedrück, aber ich denke so versteht man es besser. Und hier setzt das
Schmerzgedächtnis ein. Sobald der Körper Schmerzen wahrnimmt, wird dieser Art von Schmerz sofort verglichen und eingestuft. Kennen wir den Schmerz
bereits und er hat keinen großen Schaden verursacht, ist unsere Reaktion relativ gelassen. Die Rezeptoren merken relativ schnell, dass alles wieder im
Normbereich ist und beruhigen sich.
Ein kleines Beispiel: Haut man sich an der Türkante die Schulter an, ist es schmerzhaft, man beruhigt sich aber schnell wieder. Gehen wir von einem
Autounfall aus und ein Bein wurde eingequetscht, läuft jetzt eine ganze Kausalkette an Reaktionen ab. Der Körper gerät unter Dauerstress, da es in
erster Linie eine gefährliche Situation ist. Die Rezeptoren feuern jetzt dauerhafte Impulse an das Nervensystem und melden, dass sich etwas ändern
muss. Der Körper reagiert jetzt mit vermehrter Adrenalinausschüttung, um Energie zu mobilisieren und auch die Rezeptoren zu beruhigen. Keiner kann sich
von einem Problem wegbewegen oder wegrennen, wenn er ständig Schmerz fühlt. (fight-or-flight-Modus) Nur hat dieses System einen Haken. Sobald der
Adrenalinspiegel wieder sinkt und der Körper zur Ruhe kommt, kommen auch die Schmerzen. Wie oben schon erwähnt, dass hier kann man weitaus komplexer
beschreiben. =) Mir ist es wichtig, dass du den Unterschied verstehst. Ab solchen Punkten enstehen übrigens körperliche Traumen. Ab dem Punkt, wo der
Körper sich selbst nicht mehr schnell genug helfen kann, oder etwas nicht verarbeiten kann, werden negativ Erfahrungen gespeichert, die die Tiere und
uns nachhaltig beeinflussen.
Wie allerdings entstehen jetzt chronische Probleme? Also Schmerzen die dauerhaft vorhanden sind? Nunja wenn ein Problem im Körper vorliegt, was er
selbst nicht mehr reparieren oder eindämmen kann, werden die Rezeptoren in diesem Gebiet dem Körper immer melden, dass dort etwas nicht stimmt. Quasi
eine Dauermeldung an das zentrale Nervensystem. Diese Meldung brennt sich ca. nach 3 Monaten ein. Der Körper versucht dann Maßnahmen zu treffen, die
ihm Linderung verschaffen. Bestes Beispiel ist Kissing Spines beim Pferd. Der Körper wird an den berührenden Stellen so oft gereizt, dass er versucht
an dieser Stelle einen Schutz darüber zu bilden. Und irgendwann wenn sich die Stellen dauerhaft berühren, verwachsen sie. Natürlich dauert dieser
Vorgang einige Zeit. Die Grundidee des Körpers ist aber, immer erstmal schmerzfrei zu werden und solche Reaktionen einzudämmen.
Zusammenfassend ist es also wichtig zu verstehen, dass der Körper Schmerzerfahrungen abspeichert und diese in einem Art Gedächtniss aufbewahrt. Es wird
bis zu einem gewissen Punkt verarbeitet. Ab dem Punkt wo der Körper es nicht mehr aufarbeiten kann, wird es fest gespeichert. Der absolute Klassiker
ist Kopfscheue (bei Kopfschmerzen oder nach Ohrenbehandlungen) oder die Füße nicht geben wollen. Ich bin an vielen Tieren, nicht die erste Therapeutin
und bekomme erzählt, wie die Tiere sich irgendwann nicht mehr an bestimmten Stellen berühren lassen wollen. Entweder wurden sie zu grob behandelt, was
entweder durch die Fehleinschätzung der Kollegen passieren kann. Oder es mussten Verbände gewechselt werden. Oft ist ein Verbandswechsel nach
Operationen schmerzhaft, da das Gewebe sehr empfindlich ist. Das Tier speichert sich ab: Mensch berührt Fuß und es schmerzt. Mehr können sich die
meisten Tiere nicht merken.
Das Prinzip ist denke ich jetzt klar. Nach einiger Zeit ist die Wunde verheilt, aber das Tier nach wievor an der Stelle sensibel. Jetzt müsste man das
Tier wieder daran gewöhnen, dass die Berührung gar nicht mehr schmerzt. Dennoch sagt das Schmerzgedächtnis, es tut weh! Es ist nicht bei allen Tieren
gleich intensiv ausgebildet. Dennoch gibt es viele Schmerzreaktionen, die als Verhaltensauffälligkeit missverstanden werden: Kopf schlagen, zucken,
Launigkeit, Ablehnung gegenüber mancher Personen, beißen, weglaufen, Zähne knirschen, „koppen“ ähnliches Kopfschlagen, seltsames fiepen,
Rittigskeitsprobleme, Probleme in der Bewegung und andere Verhaltensmuster. Das Gedächtniss, kann in vielerlei Hinsichten beeinflusst und geholfen
werden. Medikamente, sanfte Massagen, myofasziale Techniken, Narbenentstörung, Akupunktur, Akupressur, sanfte Triggerpunktbehandlungen,
Horizontaltherapie oder andere elektrische Behandlungen. Bei sehr stark ausgeprägten Fällen, sollte man auch eine Verhaltenstherapie mit entsprechend
ausgebildeten Kollegen in Erwägung ziehen.
Ich hoffe ich konnte euch weiterhelfen, eure Tiere besser zu verstehen. Bei Fragen meldet euch gerne oder kommentiert unter den Beitrag. Der Artikel
darf gerne geteilt werden. Ich wünsche euch noch eine schöne Zeit. Liebe Grüße Magda